Die Sache mit dem Achtellos |
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Aus: Mascha Kaléko, Das lyrische Stenogrammheft. |
«Das nimmt kein gutes Ende», sagt
Stefan, als ich ihm von mei- nem Achtellos erzähle. Ich aber bin so vergnügt, daß ich mich auch nicht ein bißchen einschüchtern lasse. Erstens gehört dieser Aus- spruch zu den Grundpfeilern seines Sprachschatzes, und außer- dem hat er heute wieder mal seinen blassen Tag. Sie haben ihn da nämlich auf seiner Verbandstagung nicht wieder in das Komitee gewählt. Natürlich macht sich Stefan nichts aus derlei albernen Spießer-Ambitionen, pah, was liegt schon daran... Aber: «... du verstehst, Liebling, eine Prestigefrage. Eine glat- te Prestigefrage!» - Ob ich verstehe! Und ich werde mich hüten, zu widersprechen. Frauen haben zuweilen ihren Kleiderfimmel und Männer ihren Kummer über die Majorität der jeweiligen Opposition. Achtung: Selbstschüsse! Tausend Unfallmöglichkei- ten im Verkehr mit den lieben Mitmenschen! - Da hilft nur eins: gut zureden. «Stefan», sage ich, «laß du nur mal mein Los richtig rauskom- men. Da pfeifst du auf deinen ganzen Prachtverband!» Aber da habe ich verdammt schlecht gezielt. - «Einen Begriff hast du von diesen Dingen!» Unerschütterliche Verachtung für das gesamte weibliche Geschlecht. Ich aber bin heute nicht totzukriegen. - «Junge», fange ich an, «dir ist jetzt nicht ganz himmelblau zumut, komm, ich spendier' uns was. Als Vorschuß auf das Große Los.» Und schon bugsiere ich ihn in die kleine Konditorei. Er zündet sich geruhsam eine Zigarette an. Mit einer beleidi- genden Blasiertheit. Nach ein paar Anstandsminuten setze ich ein: «Merkwürdig, was? Ich hab' mir das Los überhaupt nicht vorher angesehen, und nun ist zweimal meine Glückszahl aus dem Horoskop drin...» - «Schrecklich merkwürdig. Und das gibt dir die unumstößliche Gewißheit, daß du den Haupttreffer ziehst...», lächelt er - gelin- de gesagt: ironisch. «Unumstößliche Gewißheit? - Nein. Aber immerhin ein ganz angenehmes Gefühl», gebe ich zurück. - Ich weiß genau, daß ich mich mit dem Horoskop ein bißchen lächerlich gemacht habe, aber nun gerade. Stefan mißt mich mit einem Zeitlupenblick. - «Nun hör' aber endlich mit diesem hirnverbrannten Unsinn auf. Das Horoskop hat dir gerade noch gefehlt.» Ich: «Du kannst doch nicht leugnen, daß beinah alles gestimmt hat, die Charakterdeutung und...» «Dazu hättest du aber nicht gerade zu diesem langhaarigen Sternen-Apostel rennen brauchen», unterbricht er mich bissig. «Zu... zu rennen brauchen. - Von wegen des Infinitivs, ver- ehrter Herr!» revanchiere ich mich prompt. Es hat gesessen. - Er winkt den Ober heran. Wir zahlen und gehen. Draußen nimmt er meinen Arm, und ich denke, alles vergeben und vergessen. Unterwegs sortiere ich alle Glücksperspektiven eines Losgewinns und breite eine verführerische Musterkollektion aus. Er aber schweigt. Kühl wie ein Ehemann... Vor einem märchenhaften Schaufenster lasse ich mich zu der protzigen Bemerkung verleiten: «Na, wenn erst meine Million gezogen ist...» - Ach Gott, was soll man schon sagen, wenn so einer mit Weltuntergangsgesicht neben einem herläuft und den Mund nicht auftut. Plötzlich aber tut er ihn auf. «Deine Million? Bei einem Achtellos?» - «Eine Achtelmillion ist auch was. Und Kapital wächst doch», renommiere ich. «Und wie gedenken Gnädigste das Kapital anzulegen?» «Das laß nur meine Sorge sein. Zuerst werde ich mal ganz übermütig und zahle meine Schulden. Alsdann sag ich zu meinem Chef in reinstem Geschäftsdeutsch -: <Bezugnehmend auf die letzthin mit Ihnen gehabte Differenz sehe ich mich genötigt, Ihnen meine unschätzbaren Dienste zu kündigen, und bitte ich Sie, mein letztes Monatsgehalt Herrn Erich Kruse gutzu- schreiben.> - Kruse, das ist nämlich der Junge aus der Expedition, der mir immer den Kaffee geholt hat...» - «Geholt hat... ist köstlich!» äußert Stefan. Aber ich bin nun mal mittendrin. «Dann fahr' ich ein bißchen rum um den Globus. Sonja bekommt ihr Grammophon, und dir schenke ich vielleicht ein Paar feine Glacehandschuhe, auf daß du lernst, mit zarten Frauenseelen umzugehen...» - «Du bist heute mit einem Esprit begnadet!» «Und du mit einer Noblesse!» - «Verstehe nicht, wie ein sozusagen erwachsener Mensch...» «Nicht mal 'nen harmlosen Mumpitz gönnst du einem. Deine Herzensbildung scheinst du in der Garderobe abgegeben zu haben!» - «Also, nun schimpf nicht gleich wie ein Rohrspatz. Wer hat nun eigentlich kindisch benommen? x - «Das fragst du? Ich finde das unglaublich. Und überhaupt...!» - «Und überhaupt?» Der Krach schien fällig gewesen zu sein. ...Oder war es wirklich nur das Achtellos? Nun liegt es vor mir auf dem Tisch, traurig zerknittert, neben dem Portemonnaie, das gerade noch das Fahrgeld für morgen enthält. Die fünf Mark bin ich los. Stefan auch. Zumindest für bestimmte Zeit. Bleibt nur das Los. Wenn man es sich so ansieht: warum sollte es eigentlich verlie- ren? Aber gewinnen? Nein. Mit dem Einsatz wird es heraus- kommen! ...Das sähe meinem Schicksal ähnlich. |