(Fortsetzung)

 

Bald nach den ersten Injektionen bekam meine Schwester Hanna Krämpfe. Damals wußte ich nicht, was das war. Als sie in einer Ecke des Käfigs saß, wurde sie plötzlich steif. Dann begann sie Bewegungen mit ihrem Gesicht, ihren Armen und ihren Beinen zu machen, die nicht ihre eigenen waren. Dr. Mengeies Assistenten standen vor dem Käfig und beobachteten uns. Manchmal war auch Mengele selbst da. Ich weiß nicht, ob ich das gleiche hatte, aber ich vermute es. Manchmal, wenn Hanna weinend von den Experimenten zurückkam, legte ich meine Arme um sie. Das war alles, was ich tun konnte. Hanna war der Grund dafür, daß ich am Leben bleiben wollte. Ich weiß dies nur aus der Rückschau. Im Alter von etwa vier war ich nicht zu begründeten Gedanken fähig.

Bei einem anderen Experiment rieben sie eine Salbe auf meine Brust, die Verbrennungen dritten Grades hervorrief,

Das Schmerzvollste, was sie mit mir machten, war, als die Assistenten mich auf einem Tisch festhielten und Dr. Mengele mein linkes Bein aufschnitt. Er kratzte Stücke meines Schienbeinknochens weg; vielleicht wollte er Knochenmark entnehmen. Später verband er die Wunde. Die Operation war schrecklich schmerzhaft, und plötzlich fühlte sich mein Bein an wie ein Stock.

Ein Betäubungsmittel wurde nicht angewendet. Ich wollte schreien, aber sie hatten mir etwas über meinen Mund und die Augen gelegt.

Manchmal handelte Mengele so, als liebte er uns. Ich hasse, das zu sagen, aber es ist die Wahrheit. Manchmal nahm er Hanna und mich morgens auf seine Knie und sprach väterlich mit uns, aber nachmittags machte er wieder Versuche an uns. Oder wir mußten nackt auf dem Versuchstisch sitzen, und er beobachtete uns. Wir durften uns nicht bewegen.

Diese Experimente dauerten die ganzen neun Monate, die ich in Auschwitz war. Die Versuche wechselten mit Beobachtungs-Perioden. Wahrscheinlich waren Hanna und ich die einzigen, die in einem Käfig gehalten wurden. Mengele wollte wissen, wie junge Menschen auf vollständige Abschließung reagieren.

 

Eines Tages, es muß im Dezember 1944 gewesen sein, wurde Hanna in den Käfig zurückgebracht und bekam, wie üblich, ihre Krämpfe. Dieses Mal hörten sie nicht auf, sondern dauerten die ganze Nacht über an. Als sie endlich ruhig wurde, war in ihrem ganzen Körper keine Bewegung mehr. So jung wie ich war, wußte ich, daß etwas Schreckliches geschehen war. Ich schrie, was ich nicht oft tat, denn ich war ein kooperatives Opfer.

Jemand kam, aber nur, um uns zu beobachten. Dann kam Dr. Mengele und hob Hanna aus dem Käfig. Ich wußte, sie war tot. Wir waren damals vier Jahre alt.

Ich wollte nicht, daß Hanna weggebracht wurde, und ich muß eine Bewegung gemacht haben, als wollte ich Mengele schlagen. Er griff mich am Arm und bekam diesen bösen Gesichtsausdruck. Er riß mich aus dem Käfig und hielt meine rechte Hand auf den Tisch. Dann schlug er mit einem hammerähnlichen Instrument auf meine Hand. „Ich werde dir zeigen, was Kindern passiert, die Dr. Mengele angreifen", rief er. Seine Wut war anders als der Ärger, den er manchmal im Labor zeigte, wenn ich nicht stillag ...

Meine blutende Hand wurde von einem Assistenten verbunden. Von diesem Tage an war ich allein im Käfig. Es mag merkwürdig klingen, aber von da an wollte ich nicht mehr leben. Vorher hatte ich leben wollen, Hannas wegen. Nachdem Hanna gestorben war, habe ich Mengele nie wieder gesehen.

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